Was Hegel denkt, praktiziert der Zen

26 Dez 2022

aus dem X. Sesshin in Neresheim, mit Gudrun Keller und Karlheinz Bartel

Handeln durch Nichthandeln. Geschehen lassen. Mach dich frei, gewinn deine kindliche Unschuld in der Betrachtung und der Bewertung des Lebens zurück. Frei von Berechnung, absichtlichem Verhalten um eines Vorteils willen. Ohne Motiv leben. Frei von Sorgen und Gedanken.

Sitze, spüre den Atem; du wirst dies und das denken. Lass das alles geschehen und du wirst im Hier und Jetzt sein. Leben findet ausschließlich in der Gegenwart statt.

Nur weil das Sitzen nach absoluter Stille aussieht, geht es im Zen nicht einzig um das Schweigen, sondern um das Eins-Werden mit dem was ist. Ist das, was ist, das Denken, dann bedeutet eins zu werden mit dem, was ist, ganz eins zu werden mit dem Denken. Findet im Sitzen Nichtdenken statt, so geht es darum, mit dem Nichtdenken eins zu werden.

Zen wäre nicht Zen, gäbe es im Zen eine Abwertung des Denkens. Ob Denken oder Nichtdenken ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, zu beobachten, was ist und sein will, und das durch Bilder und eigene Gedanken nicht zu bewerten. Mit der Tätigkeit des Bewertens haften wir am eigenen Denken an. Die Gefahr dabei ist, im bewertenden Denken hängen zu bleiben. Damit wären wir aber nicht mehr unmittelbar bei der Wirklichkeit, sondern bei der Bewertung derselben, bei unseren Meinungen darüber, und das bedeutet: Wir verharren in der Entzweiung und wären nicht mehr mit der Aufhebung derselben beschäftigt. Während Hegel hört, was die Wirklichkeit über sich selber »sagt« leitet Zen dazu an, die Wirklichkeit zu realisieren. Wo Hegel noch im Denken, d.h. in der Erkenntnistheorie hängt, ist Zen immer schon Lebenspraxis.

Oftmals findet im Sitzen, gerade weil die Gelegenheit zur Rede nicht gegeben ist, ein eminent inneres Reden statt. Aus Sicht des Zen begegnet man dem inneren Reden mit Zulassen. Wir sind voll mit Bildern, Worten, Impressionen usw. Sind Teil der Wirklichkeit, die wir sind. Wenn ich nun sitze und sitze und sitze, kann es geschehen, dass ich immer weniger zu denken und zu sagen habe, entweder, weil alles gedacht und gesagt ist oder weil es mir zu dumm und zu langweilig wird, immerfort nur um ein und dasselbe zu kreisen. So werde ich still, werde ein Hörender, höre, ja lausche, was mir die Wirklichkeit sagen will. Nun ist sie es, die Gefühle in mir weckt, mir die Begriffe gibt. Und ich beginne auf neue Weise zu begreifen. Ich begreife, dass es Dinge gibt außerhalb meines Denkens, Dinge, die nicht so sind, wie ich sie mir denke und wie ich sie haben will, Dinge, die ein Eigenleben haben. Ich vernehme, werde aufmerksam. »Dieses ist das Licht das uns allen in die Kindheit scheint, in der wir schon immer sind in der Heimat der Identität, die in jedem mit Bewusstsein gelebten Augenblick neu Wirklichkeit wird.«

Sei einfach da. Nimm an, was ist. Lass zu, was du über deine Sinne aufnimmst, aber klammere dich nicht fest daran. Lass die Gedanken kommen und gehen. Atme ruhig ein und aus.

Yoga, Sitzen, Meditieren, das sind alles nur Werkzeuge, die uns gegeben sind, um uns gut vorzubereiten, um wach zu sein, da zu sein, präsent zu sein, bereit zu sein. Was sich daraus entwickelt oder was kommt wird sich zeigen. Wir können es nicht erzwingen. Wir könne nur offen sein, um zu empfangen.