Weg und Ziel
Yoga ist Dehnung. Dehnen über die physischen Grenzen hinaus erzeugt Energie und Freiheit. Freiheit ermöglicht Entspannung. Ist Entspannung im Asana, gibt es keinen Erschöpfungszustand und unsere Selbstheilungskräfte beginnen sich von selbst zu entfalten. Das Ausrichten des Körpers sollte im Einklang mit dem Ausrichten des Geistes erfolgen. Diese richtige Ausrichtung entspricht dem Bild einer Urform und wir sehen, dass sich die Anordnung weder im Zusammenhang mit der Zeit verändert, noch im Raum begrenzt ist. Das bedeutet aber, dass unser Handeln in Zeit und Raum stattfindet, aber das, was auf dem weiteren Weg passiert etwas ist, was wir so nicht kennen.
Sehr schnell wird Yoga immer wieder mit Erleuchtung in Verbindung gebracht. Das kann ein weiter Weg sein und ob dieses Ziel je erreicht wird, ist nicht sicher. Dennoch sind die Wirkungen von Pranayama und Asana nicht zu unterschätzen, auch wenn sie noch so einfach erscheinen. Die richtige Ausrichtung schafft den richtigen Raum, lässt Yogasana mühelos erscheinen und zeigt uns die natürliche Schönheit. Yoga hilft mehr und mehr, die Gedanken zur Ruhe zu bringen, Körper und Geist zu einen, hat eine heilende Wirkung auf Körper und Geist und verleiht ein tiefes Gefühl des Wohlbefindens. Ziel ist die Einfachheit und die Stille der Gedanken wieder herzustellen, mit Hilfe von Asana, Pranayama und Konzentration.
Das Wissen um die gesundheitlichen Wirkungen ist natürlich schön und erstaunlich faszinierend, diese zu erspüren, aber am erfüllendsten ist doch das absichtslose Tun und sich führen lassen, im Gegensatz und ein Einklang von Bewegung und Ruhe. Ziel des Yoga kann letztendlich die absolute Freiheit sein, aber davor machen wir in winzigen Schritten die Erfahrung einer zunehmend größeren Freiheit, indem wir zu immer mehr Selbstbeherrschung, Sensibilität und Gewahrsein gelangen. Noch wichtiger ist, einfach ein guter Mensch zu sein, mit Vertrauen, eigenständigem Denken und Handeln, Freude am Glück anderer, Gelassenheit bei eigenem Pech und Unglück, Menschlichkeit, Güte und Wohlwollen, aber auch Dinge mal unkommentiert wahrnehmen, tief durchatmen und unbenannt einfach so stehen lassen.
Im Yoga werden zum Beispiel Gier, Gewalttätigkeit, Faulheit, Exzess, Stolz und Angst als etwas betrachtet, das gelöst werden soll. Leiden, Schmerz, Ärger, Kummer, Angst können unsere Lehrer sein, damit wir lernen, mit diesen Energien umzugehen und wir es schaffen, sie umzuwandeln, anstatt vor ihnen davonzulaufen oder dagegen anzukämpfen. Wir sollten immer, gerade auch bei starken Emotionen, zu unserem Atem zurückkehren, um diese umzuwandeln und daraus Energien der Achtsamkeit zu erzeugen. Atem schult die Achtsamkeit. Achtsamkeit schult das Bewusstsein, zum Beispiel in dem man bei Schmerz den Einatem bewusst an die schmerzende Stelle lenkt und sich anschließend beim Ausatem vom Schmerz löst – los lässt, den Schmerz, die verkrampfte Muskulatur, als auch die Gedanken daran – wieder und immer wieder, nicht unterdrücken, sondern loslassen.
Schmerzen sind Blockaden die unserem Körper schaden zufügen. Aber wir sind in der Lage, aus Leiden Mitgefühl und Verstehen entstehen zu lassen. Das wird umso wichtiger, je mehr wir unter Druck stehen. Achtsamkeit und Konzentration bringen Einsicht hervor. Ohne Einsicht können wir nicht loslassen. Einsicht und Weisheit entstehen nicht aus Wissen, sondern durch Praktizieren. Ziel ist das eine Asana. Einfach sitzen, nicht “nichts tun“, sondern “Nicht–Tun“, und das Sitzen absichtslos genießen. Wahre Präsenz verwirklichen. Lernen, die Anspannungen im Körper abzubauen. Uns erlauben, immer wieder inne zu halten. Die Anspannungen mit der Einatmung in Gesicht, Schultern, Nacken immer wieder bewusst wahrnehmen und mit der Ausatmung loslassen.
Mit liebevollen Gedanken können wir positive Kräfte und Energien entwickeln, die heilende Wirkung auf unsern Körper und direkten Einfluss auf unsere Umwelt haben, da die Auswirkungen nach außen hin spürbar werden. Frieden beginnt, indem wir uns gut um unseren eigenen Körper und Geist kümmern.
Das wahre Tor der Befreiung liegt in der Absichtslosigkeit. Weder in der Zukunft noch in der Vergangenheit, sondern im gegenwärtigen Moment. Im Hier und Jetzt, in diesem einen Atemzug. Atmen und lächeln. Dieser bewusste, achtsame Atem bringt unseren Geist zurück in unseren Körper. Der physische Körper existiert nicht ohne Geist und Seele.
Achtsames Atmen hilft, zu uns zurückzukehren und den Strom der Gedanken zu unterbrechen. Wer es schafft, Samskaras und Klesas zu beseitigen und auf den Gewinn der inneren angesammelten Reichtümer verzichtet, ist auf dem direkten Weg zur Versenkung. Die Wirkungen der leidvollen Spannungen und Handlungen hören auf. Die Seele ruht in ihrer wahren Natur, in reinem Bewusstsein. Das ist die totale Befreiung, es gibt nur noch eine Bewusstheit, [Sat-Cit-Ananda] reines Sein, reines Wissen, reine Glückseligkeit.
Wenn wir uns von dem Wunsch lösen, dass in diesem Augenblick etwas anderes geschehen möge, als tatsächlich geschieht, machen wir einen grundlegenden Schritt in Richtung dessen, was Hier und Jetzt ist. Wenn wir in der Meditations-Praxis irgendwohin gelangen wollen, sollten wir aufhören, irgendwohin gelangen zu wollen. Der Augenblick ist der einzige, womit wir arbeiten können. Meditation kann nicht erzwungen werden. Meditation kann nicht erlernt werden, wir können uns lediglich gut darauf vorbereiten.
Geduld ist eine grundlegende ethische Einstellung. Wenn du Geduld entwickelst, entsteht fast zwangsläufig Achtsamkeit. Wenn du in diesem Augenblick, nicht versuchst irgendwo anders zu sein, entwickelt sich Geduld von selbst. Zu gegebener Zeit entfalten sich Dinge von selbst, ohne dass es eines besonderen Anstoßes bedarf. “Man kann Jahreszeiten nicht zur Eile antreiben. Der Frühling kommt, das Gras wächst von alleine. Es bringt nichts wenn wir am Gras ziehen, darum wächst es nicht schneller. Eile führt gewöhnlich zu nichts und kann viel Leid verursachen.“ Hab Geduld zu warten bis der Schlamm sich gesetzt hat und das Wasser klar ist. Wenn du weißt, wie du deinen Sitz genießen kannst, sitze da, tue gar nichts, sei im gegenwärtigen Augenblick präsent und genieße es. Verweile unbewegt, bis die rechte Handlung von selbst auftaucht. Beobachte deinen Atem und deine Aufrichtung. Verweile im Hier und Jetzt, in diesem einen Atemzug – wieder, wieder und immer wieder.