So wie es unterschiedliche Arten von Leiden und vielfältige Gründe dafür existieren, gibt es auch Möglichkeiten, diese Leiden und ihre Ursachen abzustellen und Wege um dieses Beenden zu verwirklichen. Ein positiver und konstruktiver Umgang mit dem Leiden ist der Versuch, das Problem zu verstehen und die Ursache herauszufinden, etwas zu ändern und dadurch innere Stärke zu erlangen, dass man etwas tut oder sich zu etwas überwindet, was dem Geist zunächst widerstrebt, um dann loszulassen und die Situation so anzunehmen, wie es ist. Mit Hingabe und Vertrauen zu Gott: Alles ist in Ordnung, wie es ist. Hingabe an Gott ist keinesfalls religiös fanatisch zu verstehen, sondern hundertprozentige Hingabe an das eigene Tun. Ethische Prinzipien sind darauf ausgelegt, das Leben erträglicher zu machen. Tatsächlich kann es besser sein, an keinen Gott zu glauben, und so zu handeln als existiere er, als an ihn zu glauben und so zu handeln als gäbe es ihn nicht. Der Yogaweg ist etwas Verbindendes über alle Religionen und Weltanschauungen hinweg.
Leiden ist wie eine Krankheit, die wir uns alle zugezogen haben. Schmerzen sind ein Art des Leidens und wir alle streben danach, diese wieder los zu werden. Eine andere Art des Leidens ist das Leiden der Veränderung, das wir oft als Genuss und Freude wahrnehmen, die aber meist nur eine Verringerung von Schmerz ist, dessen Folgen lange Zeit verborgen bleibt. Wären beispielsweise Essen und Trinken nur angenehm, dann wären wir umso glücklicher, je mehr wir zu uns nehmen, aber in Wirklichkeit beginnen wir an Körper und Seele zu leiden. Das bedeutet, Genuss und Freuden können durchaus die Natur von Schmerz haben. Leiden können ebenso mit Karma und frühere Leid bringenden Gefühlen wie zum Beispiel Begierde und Hass in Verbindung stehen. Wir werden in Situationen hineingeboren, die wir nicht kontrollieren können und müssen Geburt, Krankheit, Alter und Tod unserem Leben durchleiden, weil wir keine andere Wahl haben. Dazu kommt die Unzufriedenheit, ständig immer noch mehr besitzen zu wollen, ohne dass uns das auch nur ein Stückchen mehr Zufriedenheit bringt. Das ist im Grunde wirkliche Armut. Wir verlieren dadurch den wahren Wert des Mensch-Seins aus den Augen.
Heutzutage ist es normal zu leben, um Geld zu verdienen, aber es sollte genau umgekehrt sein. Wir brauchen Geld, um zu leben, aber es schadet, wenn wir uns zu sehr an materielle Güter hängen. Unser Leben ist begrenzt und auch die Menge dessen, was wir besitzen können. Spirituell können wir uns grenzenlos erweitern. Oft ist es aber auch hier genau umgekehrt, auf der spirituellen Ebene sind wir mit ein bisschen Üben zufrieden, aber auf materiellem Gebiet bekommen wir nicht genug. Das ist der falsche Weg. »Spirituelle Werte sind nicht die Soße auf der Mahlzeit des materiellen Lebens, die man vielleicht nur mal am Sonntag zu Gemüte führt. Sie sind das Hauptgericht, das was uns nährt und aufrechterhält. Materielle Werte sind die Soße, und die können helfen, das Leben außerordentlich angenehm zu gestalten.«
Wir sollten uns viel mehr um Körper und Geist kümmern, die wir allzu oft vernachlässigen, denn gerade Strapazen und Stress verursachen Schmerz und Krankheit und führen zu seelischen Leiden. Wenn wir ehrlich mit uns selbst sind, fällt es schwer, das Streben nach Geld für den Sinn des Lebens zu halten. Mitgefühl verleiht dem Leben einen Sinn. Zufriedenheit ist eine Grundlage, welche die Entwicklung von Achtsamkeit unterstützt. Achtsamkeit ist ein Gut, das in der heutigen Zeit immer mehr verloren geht, ist aber, genauso wie Liebe und Mitgefühl, wichtiger ist als alles andere. Anderen immer nur die Schuld zuzuweisen, ist eine wesentliche Ursache für Unzufriedenheit. Mitgefühl für das Leiden anderer bedeutet mehr als bloßes Mitleid. Wirkliches Mitgefühl ist kraftvoll und stets ein Antrieb zum Handeln, zur Fürsorge, zum intelligenten Eingreifen.
Unproduktive Arten, um schwierigen Situationen zu begegnen sind: leugnen, ärgern und wütend sein, Depression, Resignation, Niedergeschlagenheit, unreflektiertes Fliehen und Kämpfen. Erst das Bewusstmachen, Tätig werden und Wiederloslassen versetzt uns in die Lage, Leiden zu vermeiden. Spirituelles Üben dreht sich nicht um Äußerliches, sondern findet in unserem Herzen und in unserem Geist statt. Dazu brauchen wir Geduld. Wichtig ist, unbeherrschte Geisteszustände zu erkennen und abzubauen.
Es ist aber noch wichtiger, Schicksalsschlägen, Schwierigkeiten und Unglück mit einer positiven Einstellung, Optimismus und Hoffnung zu begegnen. Wenn wir zum Beispiel über Ärger nachdenken, können wir zu der Einsicht kommen, dass Ärger absolut sinnlos ist und immer nur mir selbst schadet. Mit Entschlossenheit können wir dann daran arbeiten, Ärger schrittweise zu verringern. Wenn mich etwas immer wieder wütend macht, findet an dem Tag etwas Neues statt, an dem ich mich entscheide, nicht mit Ärger zu reagieren. Gut dazu, ist eine Übung der Achtsamkeit, in der ich alles, was ich wahrnehme, registriere, einfach wunschlos beobachte, nicht kommentiere, nicht beurteile, nicht benenne, einfach so stehen lasse. Yoga hilft dabei innovativ, zu sein und eine Intelligenz zu entwickeln, die eine neue Beziehung zwischen Ego und Umwelt aufbaut.
Ähnlich können wir das in Bezug auf Gefühle wie Lust, Zorn, Eifersucht und Hass praktizieren und dadurch unsere Einstellungen dazu positiv verstärken. Hoffnungslosigkeit ist ein schwerwiegender Grund für Misserfolg. Unter keinen Umständen sollten wir die Hoffnung verlieren und nie vergessen, dass jedes Problem überwunden werden kann. Gelassen bleiben, auch dann, wenn es in manchen Situationen kompliziert und aussichtslos erscheint. Solange der Geist in Frieden bleibt, ist alles nicht so schlimm. Wenn der Geist dem Hass nachgibt, kann sich kein geistiger Frieden entwickeln, deshalb brauchen wir eine positive Einstellung gegenüber Schwierigkeiten. Indem wir schwierige Situationen mit Würde durchstehen, können wir noch schlimmere Konsequenzen von zukünftigen schlechten Handlungen verhindern.
Fünf Schmerz verursachenden Leiden (Klesa) behindern uns in unserer Weiterentwicklung, weil sie das Gleichgewicht des Bewusstseins stören:
1. Avidya: Nicht-Wissen, Nicht-Verstehen, falsches Verstehen, Unbewusstsein
2. Asmita: Ich-Verhaftung, Stolz, Hochmut, Egoismus, falsche Identifikation
3. Raga: Leidenschaft, Wunsch, Gier, Anhaftung, Begierde, v.a. am Vergnügen
4. Dvesa: Nichtmögen, Abneigung, Hass, Ablehnung, v.a. gegen Schmerz
5. Abhinivesa: Furcht, Angst, Anhaften, vor allem am eignen Leben
Jede/r Einzelne muss bereit dazu sein im Leben etwas tun um Veränderungen zu zulassen und anzunehmen. Jammern hilft nicht. Klesas sind im Yoga veränderbar und werden nicht einfach so hingenommen, unterdrückt oder verleugnet, sondern sollen gelöst werden. In der Bhagavad Gita erklärt Arjuna die Bedeutung des Yoga als Befreiung von Leid und Sorgen, wenn der Geist gebändigt und von allen Begierden erlöst ist und die Vereinigung mit dem höchsten Selbst übt. Wer in Ernährung und Vergnügen mäßig ist, in seinen Handlungen Zurückhaltung übt und Schlafen und Wachen regelt, dem wird das alle Leiden tilgende Yoga zuteil.
Wir alle haben Leiden, weil Fluten von Gedanken die Harmonie des Geistes stören. Wir sind gefangen in einem Netz aus Lust, Ärger, Hass, Gier, Besessenheit, Verblendung, Stolz, Eifersucht usw. Wenn die Leiden verringert oder beseitigt werden, kommt der Geist zur Ruhe. Lassen wir den Leiden freien Lauf, können psychosomatische Erkrankungen die Folgen sein. Gefühle sind aber auch der Antrieb für unsere Entwicklung. Deshalb müssen wir lernen, diese zu kultivieren. Das ist nur möglich, indem wir uns mit unseren Gefühlen auseinandersetzen und dann wiederum die frei werdenden Energien für uns nutzen. Wir dürfen Gefühle nicht einfach unterdrücken, ignorieren, aber genauso wenig dürfen wir uns zu sehr mit unseren Gefühlen identifizieren.
Wer ein Problem erkennt und sich entscheidet, daran etwas zu ändern, muss dieses Problem anerkennen, um dann die Ursachen zu ergründen. Um uns zu helfen gibt Patanjali den Rat, äußere heilsame Geisteszustände zu kultivieren: Freundlichkeit, Freude am Glück anderer, Mitgefühl und Gelassenheit gegenüber Kummer, Untugenden und Laster. Jede andere Reaktion, wie Neid, Eifersucht, Ärger, Empörung oder Unmut, erzeugt keinen Frieden. Je mehr wir es schaffen, heilsame Geistesbewegungen umzusetzen, unser Ego zurückzunehmen und weniger anhaften, umso mehr bringen wir unseren Geist unter Kontrolle und unser Herz zur Ruhe. Nur so können die Leiden des Körpers verringert oder beseitigt werden. Der Geist findet dann den rechten Weg, um auf dem spirituellen Weg seine nächste Aufgabe zu bewältigen. Auf dem Weg nach innen verringert Yoga-Praxis Klesas durch Meditation (Dhyana) und fördert Samadhi. Bemerkenswert ist, dass Gefühle durch Prana beeinflusst werden das heißt, dass wir über die Atmung in der Lage sind, auf Gefühle direkten Einfluss zu nehmen.
Patanjali beschreibt neun Krankheitsformen, die er in physische, emotionale und seelische unterteilt und zeigt dann, wie man diese mit Hilfe des Achtfachen Pfades überwinden kann.
In Avidya, der Unwissenheit, liegt der Grund, aus der heraus die anderen vier Klesas genährt werden. Durch Unwissenheit werden unsere Begierden getrieben und wir halten das Vergängliche, Unreine, Leidvolle fälschlicherweise für das Reine, Freudvolle. Beispielsweise bemüht sich unser Körper von Natur aus rein zu bleiben. Mit Hilfe unterschiedlicher Reinigungspraktiken können wir unseren Körper dabei unterstützten. Oft machen wir aber genau das Gegenteil. Von Natur aus ist nicht vorgesehen, dass wir uns mit allen möglichen Konservierungs-, Geschmacks-, Aroma- und Farbstoffe voll stopfen. Die Natur hat auch nicht vorgesehen, dass wir unseren Körper zum Grab von Tierleichenteilen machen. Jedes Lebensmittel, das wir zu uns nehmen, wird ein Teil von uns. Ist es die Schönheit und Komplexität der kosmischen Intelligenz, die durch Naturbelassenheit zum Ausdruck kommt, so ist es dieselbe kosmische Intelligenz, an der wir dann Teil haben. So wie wir uns mit unserem Körper identifizieren, identifizieren wir uns auch mit unseren Talenten, Fähigkeiten und Neigungen. Oft halten wir das Schmerzvolle für gut und freudvoll, aber das Sinnliche ist letztendlich nicht wirklich freudvoll. Avidya hindert uns daran, die Wahrheit zu sehen.
Asmita ist die Ursache von intellektuellen Leiden: mangelndes Verständnis, Arroganz und Stolz, ein intellektueller Defekt, der im Kopf beginnt. Ein Ego, das sich aufbläht und selbstgefällig wird. Dadurch geht das Gefühl für ein rechtes Maß und die Rücksichtnahme für andere verloren. Wir leiden, sobald wir keine Anerkennung bekommen oder Kritik an unserer Person geübt wird.
Raga, steht für emotionale Defekte: Anhaftung, aber auch Abhängigkeit und Aversion. Wenn man vollkommen befriedigt immer noch mehr haben möchte, führt das zur Abhängigkeit, da keine Befriedigung mehr erreicht werden kann. Dadurch entsteht Schmerz, Unglück oder Neid. Es ist das Anhaften an Dingen, an Menschen, aber auch die zwanghaft, pervertierte Liebe zu Tieren oder zu Gegenständen, wie z.B.: Autos.
Gier, Neid, Macht, Geld, Sex. Gier ist das größte Verhängnis vieler Menschen. Die anderen Triebe resultieren daraus. Triebe die die Ich-Du-Beziehung zu einer Ich-Es-Beziehung werden lassen. In einer Es-Beziehung wird mit allem als Objekt des Besitzes umgegangen, sowohl im Handeln als auch Nutzen, der daraus gezogen wird. Missbrauch auf der sachlichen Ebene schadet dem Ego. Dankbarkeit gegenüber allem ist hier das richtige Gefühl, dann hat das Ego nichts mehr zu tun. Ein egobezogenes Ich verlangt ständig, dass man seinen Launen nachgibt und seine Ängste beruhigt, wobei das nie möglich ist, weil es nie zufrieden ist. Augustinus sagt: »Liebe, und dann tu´ was du willst!« Tue was du tust, sei hundertprozentig bei dem, was du tust – absichtslos, und lass dich von nichts und niemandem täuschen, auch nicht von Dir selbst!
Dvesa ist eine emotionale Abneigung, vor allem gegen Schmerz, die sich in Hass umwandeln kann und aus der heraus wiederum psychosomatische Krankheiten entstehen können. Aber aus den eigenen Fehlern können wir nur lernen, wenn wir das Göttliche in jedem Menschen sehen.
Abhinivesa ist eine instinkthafte Anhaftung. Abhinivesa ist das Klesa, das am schwierigsten zu überwinden ist, aber selbst dafür zeigt uns Patanjali einen Ausweg. Leiden entsteht erst dann, wenn Menschen an Vergänglichem festhalten. Das größte Leid entsteht durch das Festklammern am eigenen Leben, dem Leiden an der Veränderung, das ist der Nährboden für alle anderen Ängste.
Krankheit ist nicht nur physisch, sondern alles, was das spirituelle Leben stört und behindert ist Störung oder Leiden. Kranksein heißt, dass ein Körperteil seine Sensibilität verloren hat. Gesundheit ist mehr, als einfach nicht krank zu sein.